Musicultura
Sie haben es tatsächlich geschafft: Deep Purple stehen mit dem neuen Album «=1» in mehreren Ländern zuoberst in den Charts. In der Schweiz haben sie es gar auf Platz 1 geschafft und dabei namhafte Konkurrenten wie zum Beispiel Eminem oder Muse verdrängt. Und das völlig zurecht, denn «=1» ist tatsächlich ein überraschend gut gelungenes Album. Dennoch habe ich seit gut einem Monat eine Blog-Notiz auf meinem Schreibtisch liegen mit dem Titel «Das Deep-Purple-Dilemma». Es ist eben nicht alles (Chart-)Gold, was glänzt.
Kurzer Rückblick: Seit über dreissig Jahren zählen Deep Purple zu meinen absoluten Lieblingsbands und als Teenie war ich schon fast so etwas wie ein heutiger Swiftie, ein Purplie sozusagen. Nun mögen diejenigen, die mit Ritchie, Ian, Jon, Roger und Little Ian gemeinsam die Schulbank hätten drücken können, mit Recht behaupten, dass dreissig Jahre Purple-Fan-Dasein nicht wirklich viel ist, zumal die Band 1968 gegründet wurde. Mit gerade mal 45 Jahren Lebenserfahrung liegt aber halt einfach nicht viel mehr drin. Zuvor musste ich ja noch die David-Hasselhoff-Phase durchmachen und meinen schwarzen Bob vorne mit einem roten Tape versehen, um der Coolste im heimischen Schnee zu sein. Aber zurück zu Purple: Inzwischen ist Ritchie nicht mehr dabei und Steve Morse als sein Nachfolger gilt als dienstältester Purple-Gitarrist. Immerhin kam er auf satte 28 Jahre, bevor er aus familiären Gründen aus der immertourenden Live-Maschine aussteigen musste. Jon Lord weilt leider schon seit zwölf Jahren nicht mehr unter uns und ist sicher der grösste Verlust, den Deep Purple je verkraften mussten. Bleiben noch Ian, Roger und Little Ian. Letztere bleiben bis heute als Rhythm Section unübertroffen. Der eine inzwischen 79 Jahre alt, der andere nur gerade 76 Jahre alt, was auch den internen Übernamen «Little Ian» erklärt. Jon Lord wurde durch den soliden, aber teilweise etwas langweiligen Don Airey ersetzt, der mit seinen ebenfalls 76 Lenzen bestens ins geriatrische Bandgefüge passt. Den ganz grossen Coup landete die Band allerdings mit dem Nachfolger für Steve Morse. Simon McBride ist gleich alt wie ich, also purpletechnisch gesehen ein Baby. Als Simon zur Welt kam, gab es Deep Purple seit drei Jahren nicht mehr und es sollte noch fünf weitere Jahre dauern, bis mit dem Album Perfect Strangers die grosse Mark-II-Reunion folgte. 1979 waren zwei Drittel der heutigen Setlist bereits geschrieben, aufgenommen und veröffentlicht. Klassiker wie Fireball, Maschine Head, Made in Japan und mit In Rock das nach wie vor grossartigste Rock-Album aller Zeiten zierten schon längst weltweit die Regale gut sortierter Plattensammlungen. Dieser Simon McBride hätte also gerade so gut käsigen Keyboard-Pop machen können. Aber nein, er entschied sich für die E-Gitarre und orientierte sich an guten Vorbildern, unter anderem an Deep Purple. Und genau das ist der Gewinn für die Band. Simon bringt die in den letzten Jahren so schmerzlich vermisste Power zurück, raffelt die Soli im Blackmore-Style runter, aber im Gegensatz zum düsteren Maestro völlig ohne Allüren und stets gut gelaunt. Ein Sechser im Lotto also. An dieser Stelle trotzdem noch kurz ein Wort zu Steve Morse: So sehr Simon McBride völlig zurecht als Retter der Band gehypt wird, so bedaure ich es, wie schnell die Leistung von Steve Morse vergessen ging. Klar, rückblickend passte er mit seinem Stil wohl nie so richtig in die Band. Und dennoch gäbe es ohne Morse heute keine Deep Purple mehr. Nach Blackmores Ausstieg 1994 waren die so ziemlich am Ende und kurz davor, ihre eigenen Wege zu gehen. Wie heutzutage McBride brachte auch Morse den nötigen frischen Wind zurück. Und mit seinen epischen Gitarrensoli (z. B. in Sometimes I Feel Like Screaming) setzte er definitiv eine Marke, die bleiben wird. Bliebe noch der Fünfte im Bunde – und genau der ist der Grund für den Titel «Das Deep-Purple-Dilemma». Über das neue Album muss ich nicht viele Worte verlieren. Hört es auch an und überzeugt euch selbst. Dieses Album ist top. Punkt. Und Ian Gillan liefert mit seinen 79 Jahren nochmals richtig ab. «=1» ist eine Glanzleistung in Bezug auf das Spiel, das Songwriting und die Produktion. Aber eben, es ist eine Studioproduktion. Da kann man so lange rumpröbeln und basteln, bis alles stimmt und das Ergebnis überzeugt. Live sieht das ganz anders aus. Rückblende: Es ist der 20. Juni 2024 und ich stehe auf dem Gelände des Summerside Festivals in Grenchen. Myrath aus Tunesien haben bereits mit einer grossartigen Opener-Show überzeugt. Krokus haben ihren Job auch nicht schlecht gemacht und konnten vor allem vom Heimbonus profitieren. Und dann erschienen zu später Stunde endlich Simon, Ian, Don, Roger und Little Ian auf der Bühne. Aus diversen YouTube-Clips der aktuellen Tour wusste ich, dass von Ian Gillan live nicht mehr viel zu erwarten war. Aber was dann folgte, übertraf die schlimmsten Befürchtungen. Rissen Deep Purple in früheren Jahren die Bude bereits mit dem Opener «Highway Star» ein, so sorgte die Nummer diesmal für blankes Entsetzen auf den Gesichtern meiner Altersgenossen und derjenigen, die noch ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel hatten. Der arme Gillan kämpfte und krächzte sich von Ton zu Ton, drückte seine Stimmbänder fast hör- und sichtbar aus der Kehle raus und schwitzte wie im Fiebertraum. Zwischen den Strophen verschwand er hinter der Bühne, nur um nach den viel zu kurzen Soli die Tortur von Neuem beginnen zu müssen. Es tat schon weh vom Zuschauen und Zuhören und man spürte richtig gehend, dass sich dort oben einer bis zum Letzten abquälte. Als zweites Stück folgte zum Glück ein neuer Titel, der auch in einer inzwischen für Gillan passenderen, tieferen Stimmlage geschrieben ist. Der dritte Song war bereits ein ausgedehntes Gitarrensolo von McBride – als dritter Song! Es folgten einige weitere Neukompositionen, darunter ein Song, bei dem Paicey mit solidem Double-Bass-Donner zu überzeugen wusste. Der ist noch lange nicht am Ende und noch immer das Mass aller Dinge, wenn es ums Fellegerben geht. Aber Gillan? Der sorgte rundum für Kopfschütteln. Die jüngere Generation feierte ihn zwar ab und fand den herzigen Opa wahrscheinlich ganz toll, wie er knapp dem Tropf entkommen immer noch das Letzte aus sich herauskitzelte. Wir, die Gillan aber noch bei Säften und Kräften gesehen haben, waren bedient. Die Diskussionen verlagerten sich ins Bierzelt, wo wir uns schnell einmal einig waren: Der ist vorbei. Deep Purple muss man nicht mehr schauen gehen. Und dann steht da wie eingangs erwähnt das neue Album «=1» auf Platz 1 der Schweizer Album-Charts. Was nun? Geht dieser Erfolg auf die Jungen zurück, die den herzigen Opa nun auch als CD oder inzwischen erfreulicherweise immer öfter auch wieder als LP bei sich zuhause haben wollen? Wohl kaum. Es gilt vielmehr zu unterscheiden zwischen einem Ian Gillan als Live-Sänger und einem Ian Gillan als Sänger einer Studioproduktion mit neuen Songs. Live ist er hinüber, das schleckt keine Geiss weg. Im Studio und mit für ihn und seinem dem Alter und dem Lebensstil geschuldeten reduzierten Stimmumfang angepassten Songs ist er immer noch der Gillan, wie wir ihn lieben. Wortwitzig, treffsicher und mit der unvergleichlichen Stimme, die ihm eine derart erfolgreiche Karriere beschert hat. Nur halt einfach alles etwas tiefer und langsamer. Dem Alter entsprechend eben. Und so ist «=1» das reife Erzeugnis einer zumindest im Studio würdig gealterten Band. Bleibt zu hoffen, dass sich das auf die Setlist der nächsten Touren auswirken wird und die Verantwortlichen endlich begreifen, dass ein vom Leben gezeichneter 79-Jähriger nicht mehr die Kraft für Songs aufbringen kann, die er als 25-Jähriger geschrieben hat. Nicht umsonst ist Child In Time inzwischen seit dreissig Jahren aus den Setlisten der Purple-Konzerte verschwunden.
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Die alte Bahnstrecke neu entdecken24/9/2023 Von Basel nach Lugano in weniger als drei Stunden – das ist seit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels im Jahr 2016 möglich und hat uns in der Nordschweiz die Sonnenstube Tessin ein gutes Stück nähergebracht. Seit einiger Zeit jedoch ist diese erst der hohen Kosten und des verzögerten Bau wegens verschmähte, inzwischen aber heiss geliebte Highspeed-Bahnverbindung unterbrochen. Kein Eintauchen in den Berg mehr in Erstfeld, um dann rund eine halbe Stunde später weit unten im Tessin in Biasca wieder ans Tageslicht zu kommen.
Stattdessen tuckert die Bahn auf einmal wieder gemächlich über die Bergstrecke, die von den SBB inzwischen werbewirksam als Panoramastrecke angepriesen wird. Wie war die Sorge gross in Göschenen, aber auch südlich des Gotthards in Airolo, als den ehemals blühenden Bahndörfern durch den Bau der neuen Alptransitverbindung der Sturz in die Bedeutungslosigkeit drohte. Man ging davon aus, dass nun alle mit dem Zuge reisenden Klugen tief unten und erst noch geografisch nach Osten versetzt unter ihrem Berg durchrauschen würden und die Restaurants, Hotels und Geschäfte entlang der Bergstrecke schliessen müssten. Diese Bedenken sind sicher auch sieben Jahre nach der Eröffnung des Basistunnels nach wie vor berechtigt. Schliesslich tuckert der Zug zwar vorübergehend wieder gemächlich den Dörfern entlang – doch halten tut er zwischen Altdorf und Bellinzona nirgends. Für uns Reisende hingegen wird der Umweg, der zwischen Basel und Lugano immerhin rund eine Stunde ausmacht, zur Nostalgiefahrt. Je nachdem, in welche Richtung man fährt, geniesst man zuerst den Blick auf die imposanten, schroffen Felswände im Urnerland und nach dem Tunnel die satten Wälder und unzähligen Wasserfälle und Rinnsale im Tessin. Als Fan des HC Lugano hat das Ganze allerdings einen Haken. Da man nun nicht mehr weit unten in Biasca, sondern wieder oben in Airolo aus dem Tunnel kommt, fährt man auch wieder in Ambrì-Piotta vorbei. Eine „Attraktion“, auf die ich seit der Eröffnung des Basistunnels sehr gerne verzichtet habe ... Aber zurück zu den positiven Aspekten des Bergstrecken-Revivals. Dazu gehören für mich ganz klar die verschiedenen Kehrtunnels, die uns Reisende innert kurzer Zeit eine gewaltige Höhendifferenz überwinden lassen. Schauen spätestens seit Emils „Chileli vo Wassen“ Gross und Klein wie gebannt dreimal in Folge auf den Kirchturm, bleibt den meisten wohl verborgen, wie ungleich eindrücklicher es ist, auf diesem Abschnitt einen Blick auf die Führung der Bahnlinie zu werfen. Zwischen zwei Ebenen – oder eben zwischen Chileli von unten, auf gleicher Höhe und von oben – liegen jeweils happig viele Höhenmeter. Dass ein Zug in der Länge einer heutigen Reisekomposition diese Unterschiede scheinbar mühelos, ohne Vorspann und ohne Zahnrad-Antrieb überwinden kann, ist der Glanzleistung zweier Personengruppen aus dem vorletzten Jahrhundert zu verdanken: Einerseits den grossartigen Ingenieuren um Louis Favre und andererseits den zahllosen unter schwersten Bedingungen und in ständiger Lebensgefahr schuftenden Arbeitern, welche die gigantische Menge an Gesteinsmasse aus dem Berg gesprengt und gehauen haben. Mögen die Dörfer entlang der Bergstrecke vom vorübergehenden Unterbruch der Basislinie wenig profitieren, so erinnern wir uns aber immerhin an eine bauliche Glanzleistung, die niemals in Vergessenheit geraten darf. Erinnern wir uns auch daran, wenn wir hoffentlich bald wieder mit Hochgeschwindigkeit unter den Alpen hindurchbrausen und Ambrì-Piotta bloss noch als winziger Fleck auf der Landkarte existiert. TiM-Anlass in St. Gallen12/1/2023 Ein Aspekt von TiM, der mir unglaublich gut gefällt, ist die Möglichkeit, als TiM-Guide auch Anlässe von Kolleg:innen in anderen Regionen zu besuchen. So kam es, dass ich einen freien Nachmittag und Abend dazu nutzte, für einen Anlass nach St. Gallen zu reisen. Im Textilmuseum trafen sich rund zehn Guides und TiM-Interessierte zusammen mit Vertreterinnen des Museums und der TiM-Regionalleitung.
Schon der Austausch zu Beginn gestaltete sich ausführlicher als zuerst angekündigt. Grund dafür war nichts Geringeres als die erfreuliche Tatsache, dass wir uns alle so viel zu erzählen hatten, einander Tipps geben konnten und bereits die eine oder andere amüsante TiM-Anekdote die Runde machte. Nach rund einer Stunde folgte dann der Aufbruch. Es wurden Tandems gebildet und los ging's durch die Museumsräume und verschiedenen Ausstellungen. Da wir uns bereits ausserhalb der Öffnungszeit befanden, hatten wir das Museum für uns ganz alleine - auch eine nette Erfahrung. Und schon griff, was TiM meiner Meinung nach so einzigartig macht: Ein Blick über den Tisch, eine zustimmende Geste und schon stand das Tandem Maru & Lukas fest. Mit Maru hatte ich eine erfahrene Farbdesignerin und Künstlerin an meiner Seite. Eine vielversprechende Ausgangslage für das bevorstehende TiM-Abenteuer. Im Ausstellungsraum zur Geschichte der Tuchherstellung in St. Gallen fiel unser Blick schnell einmal auf diverse Figuren und Tiere, die mehr Dekoration als historisches Objekt sind. Aber auch das ist TiM: Niemand schreibt vor, dass man nicht auch über die Dekoration Geschichten schreiben darf. Das Rennen ums TiM-Objekt des Abends machte am Ende ein knapp ein Meter grosser Hund aus Sperrholz, den wir von der Perspektive so fotografieren konnten, dass er sehnsüchtig zum vor ihm stehenden Baum hochschaut. Oder ist das am Ende etwa gar kein Baum? Mehr zum Dilemma, das sich dem armen Tier stellte, erfährt man in der TiM-Geschichte selber. Unsere TiM-Geschichte gibt es hier zum Nachlesen: Maru & Lukas: Darf ich oder darf ich nicht? Von "Bloggern" und "Blogten"28/12/2022 Neulich fragte mich jemand: «Bisch du jetz au sone Blogger?» Ich erwiderte: «Nei, höchschtens e Blogte.» Den Begriff «Blogger» assoziiere ich schnell einmal mit dem eines Influencers. Nicht umsonst tummeln sich im Netz haufenweise Blogger:innen, die über ihre Reisen, über Restaurants oder gleich über ihre eigenen Kochkünste schreiben. Die meisten von ihnen tun dies durchaus mit einer gewissen Professionalität und werden nicht selten von Firmen materiell oder finanziell unterstützt. So muss dann die Küchenmaschine unbedingt mit Namen genannt und wenn möglich noch mit Bild im Text präsentiert werden.
Da bin ich weit davon entfernt. Mich sponsort (zum Glück) niemand und ich kann in meinen Texten tun und lassen, was ich will. So gesehen würde ich mich nicht als Blogger bezeichnen, sondern eben viel eher als «Blogte», als ein Geplagter. Die Plage, mit der ich mich herumzuschlagen habe, ist aber durchaus eine angenehme, handelt es sich hierbei doch um den Drang, Texte zu verfassen. Dazu reicht eine kleine Anekdote, ein unbedeutendes Vorkommnis im Alltag und schon purzeln in meinem Kopf Wörter und Buchstaben durcheinander. Ja, ich schreibe einfach gerne und hier auf meiner eigenen Webseite kann ich das nach Lust und Laune ausleben. Da gibt es keine Vorgaben, keine Mindestanforderungen und auch keine Deadlines. Hier kann und darf ich schreiben, wann und worüber ich Lust habe. Wenn das Geschriebene dann im einen oder anderen Fall sogar auf positive Resonanz stösst, umso besser. Aber auch kritische Anmerkungen sind willkommen. Für beides steht die Kommentarfunktion am Ende jedes Textes zur Verfügung. Über diesen Blog
In diesem Blog werden sporadisch Texte mit kulturellem Bezug oder auch einfache Beobachtungen aus dem Alltag veröffentlicht. Davart quist blog
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August 2024
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